| Eine wesentlich größere Bedeutung können die zuvor erwähnten allgemeinen
deliktischen Tatbestände nach dem StGB jedoch in der Unternehmenskrise erhalten. Während bei der „normalen Betriebsführung“ entsprechende Tatbestände i. d. R. als „grob kriminell“ eingestuft werden können und somit für den „ehrlichen Unternehmer“ vielleicht eine eher geringe Gefahr bedeuten, können in der Unternehmerkrise bereits „kleine“ Vergehen diese deliktischen Tatbestände erfüllen. Zur Verdeutlichung sei auf folgende Beispiele/Tatbestände verwiesen: - das Verschweigen der Krisensituation (auch: Schönreden“!) oder der bereits bestehenden Zahlungsunfähigkeit gegenüber einem langjährigen Geschäftspartner (also bei besonderem Vertrauensverhältnis) kann den Betrugstatbestand nach § 263 StGB erfüllen,
- eine krisenverschärfende Rückzahlung eines kapitalersetzenden Gesellschaftsdarlehens kann den Tatbestand der Untreue nach § 266 StGB
erfüllen. Dies kann auch für einen Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften der §§ 30, 31 GmbHG, den Bezug eines überhöhten Gehaltes, übertriebenen Aufwand für Repräsentation und Spesen oder kostenlose Warenlieferungen gelten,
- das (auch „vorübergehende“) Einbehalten von Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitgebers oder von Beiträgen zur Kranken-, Renten- oder Arbeitslosenversicherung kann den erweiterten Tatbestand der Untreue nach § 266a StGB erfüllen.
Zusätzlich zur deliktischen Haftung hat die jüngere Rechtsgeschichte mit dem Urteil „Bremer Vulkan“ auch eine „Verhaltenshaftung des Gesellschafters“ eingeführt, die zusammen mit den Kapitalerhaltungsregeln (§§ 30 ff. GmbHG, vgl. Kapitel 2.2.1.) zum Gläubigerschutz in der Unternehmenskrise bzw. im Insolvenzfall beitragen soll. Damit ist die frühere Rechtsfigur der „Haftung im qualifiziert faktischen Konzern“, die seit dem „Autokran
-Urteil“ im Jahre 1985 bestand, endgültig abgelöst. Entscheidend ist somit nicht mehr die beherrschende Stellung eines Gesellschafters (wie z. B. beim Gesellschafter-Geschäftsführer) bei krisenverschärfenden Handlungen, sondern seine Handlungen an und für sich. Bei „existenzvernichtenden Eingriffen“ der Gesellschafter (bzw. des Gesellschafter-Geschäftsführers), die bewusst vorgenommen oder gebilligt wurden und bei denen ein Schaden für die GmbH und die Gläubiger rücksichtslos (d
. h. grob fahrlässig) in Kauf genommen wurde, soll demnach eine „Durchgriffshaftung wegen Rechtsmissbrauchs“ gelten. Diese Auslegung (und insbesondere die Bezeichnung als „Durchgriffshaftung“) ist jedoch in der Literatur noch umstritten und eine weitere Entwicklung in der (diesbezüglich noch sehr jungen) Rechtssprechung wahrscheinlich. In jedem Fall bleibt festzuhalten, dass bei existenzvernichtenden Eingriffen durch die Gesellschafter und/oder die Geschäftsführung – außer möglichen deliktischen Tatbeständen – auch die Bestandsgefährdung an und für sich eine persönliche Haftung begründen kann. Darüber hinaus liegt es zumeist in der Sache der Unternehmenskrise, dass eine Unterkapitalisierung
eingetreten ist oder droht. Grundsätzlich ist die Frage der Durchgriffshaftung bei Unterkapitalisierung in der Jurisdiktion und Rechtswissenschaft stark umstritten. Beim Tatbestand der Unterkapitalisierung ist zudem zwischen materieller und nomineller Unterkapitalisierung zu unterscheiden: - Materielle Unterkapitalisierung liegt vor, wenn die vorhandenen Eigenmittel nicht zur Deckung des mittelfristigen Finanzbedarfs ausreichen. In Bezug auf die Durchgriffshaftung lässt sich hier
zusammenfassend eine offensive Auslegung des Bundessozialgerichts (BSG) und eine defensive, bzw. ablehnende Haltung des Bundesgerichtshofs (BGH) unterscheiden. Insgesamt bestehen zu dieser Thematik in der Rechtswissenschaft jedoch vielfältige Theorien, wie z. B. der Ansatz der Treuepflicht, die Normzwecklehre, die Annahme des institutionellen Rechtsmissbrauchs oder auch der „free rider“-Ansatz.
- Eine nominelle Unterkapitalisierung liegt vor, wenn
der erforderliche Finanzbedarf nur durch Gesellschafterdarlehen oder Fremdmittel aufgebracht wird. Eine Durchgriffshaftung kann sich hier aus den §§ 32a, 32b GmbHG und §§ 129a, 172a HGB begründen, jedoch wurde die nominale Unterkapitalisierung bisher als allein stehender Tatbestand meist abgelehnt.
Eine wesentliche Haftungsgefahr besteht zudem für den (Gesellschafter-) Geschäftsführer durch seine zweifelsfreie Pflicht zur Insolvenzanmeldung nach § 61 Abs. 1 GmbHG
. Demnach hat der Geschäftsführer im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der GmbH unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen, Insolvenzantrag zu stellen. Bei Zuwiderhandlung droht nach § 84 Abs. 2 GmbHG eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. Da die Bestimmungen zur Insolvenzantragspflicht die Gläubiger einer beschränkt haftenden Gesellschaft schützen soll, besteht zudem persönliche und unbeschränkte Schadensersatzpflicht des
Geschäftsführers nach § 823 Abs. 2 BGB. In der aktuellen Rechtssprechung hat sich bei der Bestimmung des Schadensersatzes eine Unterscheidung zwischen Alt- und Neugläubigern durchgesetzt. Als Altgläubiger gelten demnach jene Gläubiger, deren Ansprüche schon vor dem eigentlichen Zeitpunkt der Insolvenz bestanden. Ihr Schaden liegt darin, dass die Gesellschaft noch nach Eintritt in die Insolvenz (also nach dem Zeitpunkt der eigentlichen Insolvenzantragspflicht)
massemindernde Geschäfte getätigt hat und somit die Insolvenzquote verschlechtert hat. Der Geschäftsführer ist daher zum Ersatz dieses sog. „Quotenschadens“ verpflichtet. Dieser Anspruch ist i. d. R. jedoch wertlos, da es kaum gelingt, den eigentlichen Zeitpunkt der Insolvenz nachzuweisen und Masse, Verbindlichkeiten sowie deren Werte zu diesem Zeitpunkt zu ermitteln. Die wesentliche Neuerung in der Rechtssprechung liegt jedoch bei den Ansprüchen der Neugläubiger. Als
Neugläubiger gelten dabei jene Gläubiger, die mit der eigentlich insolventen Gesellschaft noch Geschäfte getätigt haben, die sie bei pflichtgemäßem Insolvenzantrag u. U. nicht getätigt hätten. Die Neugläubiger sind also nicht nur in ihrem Glauben auf die Solvenz der Gesellschaft getäuscht worden, sondern die Verletzung der Insolvenzantragspflicht steht auch in direktem Zusammenhang zum Schadenseintritt. Daher können Neugläubiger den Ersatz ihres vollen Schadens verlangen
(sog. „Kontrahierungsschaden“), d. h. sie sind so zu stellen, wie sie ohne den mit der Gesellschaft geschlossenen Vertrag stehen würden (sog. „negatives Interesse“). Oft einhergehend mit der Insolvenzverschleppung ist die sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB. Tatbestand hierfür wäre das Verschweigen der positiven Kenntnis des Geschäftsführers von der unmittelbar drohenden Insolvenz wegen Überschuldung der Gesellschaft
gegenüber Geschäftspartnern. Diese positive Kenntnis dürfte jedoch nur schwer nachzuweisen sein, da i. d. R. dem Geschäftsführer gerade bei unterlassenem Insolvenzantrag, eine ehrliche Hoffnung auf Überwindung der Unternehmenskrise und auf einen Sanierungserfolg nicht abzusprechen sein dürfte. Neben den Haftungsgefahren durch Insolvenzverschleppung oder sittenwidrige Schädigung besteht auch eine Gefahr durch Verschulden bei
Vertragsabschluß (c.i.c.). Insbesondere die bereits erläuterten Neugläubiger können sich auf c.i.c. (nach §§ 241 Abs. 2 i. V. m. § 311 Abs. 3 und § 280 BGB) gegen die GmbH berufen, wenn der Geschäftsführer es unterlassen hat, bei Vertragsschluss auf die prekäre wirtschaftliche Lage (drohende Überschuldung) hinzuweisen. Dem Geschäftsführer ist dabei kein „positives Wissen“ – wie im Falle der sittenwidrigen Schädigung -, sondern lediglich ein „Wissenmüssen“, also
Fahrlässigkeit nachzuweisen. Bedingung ist jedoch, dass bei Vertragsabschluss entweder ein besonderes persönliches Vertrauen durch den Geschäftsführer in Anspruch genommen wurde oder dieser ein besonderes eigenes wirtschaftliches Interesse am Abschluss des Vertrages hatte. |